"Mein Großvater hat immer gesagt: Seit ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere. Aber ich sage euch, seit ich die Tiere kenne, liebe ich die Pflanzen."


(Der Schauspieler H. Beyer in der Theaterkantine)

 

Unsere Schule war ein fast quadratischer Bau aus rotgelben Ziegeln, unter dessen Dach früher einnal eine Schokoladenfabrikation gehaust haben soll, was ich manchmal für möglich hielt, wegen des vanilleähnlichen Geruchs, der - schwach, doch penetrant genug in seiner Andersartigkeit - den üblichen Bohnerwachs-Pisse-Gestank durchdrang, wenn es sehr heiß wurde im Sommer oder, schon seltener, im Winter von den gußeisernen Heizkörpern, deren abblätternde braune Rostschutzfarbpartikel ich eine Zeitlang sammelte; wie auch die krepierten Fliegen, die nach den Ferien in großer Zahl auf den specksteinernen Fensterbänken lagen, und die ich, am liebsten während der Mathematikstunden, in Hinterhalt eines wackligen Lehrbücherturms mit Hilfe der Barthaar-Entfernungs-Pinzette meiner Mutter in ihre Bestandteile zerlegte, um sie anschließend häufchenweise, die Leiber zu den Leibern, die Köpfe zu den Köpfen, die Beine zu den Beinen, die Flügel zu den Flügeln, auf vier entsprechend beschriftete Zigarrenkisten der Marke "Sprachlos" zu verteilen.

 

(Anfang der Erzählung "K Ä F E R" aus "V E R F R Ü H T E T I E R L I E B E", Teil I)

© Katja Lange-Müller