Joachim Sartorius

im wort sei klangherkunft/ laut-

vermächtnis

Zu einem neuen Gedichtzyklus
Von José F.A. Oliver

Der Zyklus "fernlautmetz", Teil eines umfangreichen Lyrikbandes, besteht aus zwanzig Gedichten. Das Eröffnungsgedicht und die beiden Gedichte, die den Zyklus beschließen, haben den Schwarzwald als Hintergrund, wo José Oliver seit seiner Geburt lebt und arbeitet. Sie sprechen von der Natur, von den Jahreszeiten und wie man "wandern, wahrnehmend, lauschend" ein bislang ungehörtes, unerhörtes Wort auffindet wie zum Beispiel "blättersandlicht".

            Diese Gedichte rahmen siebzehn Reisenotizen ein, "wortfotos", meist ungemein verdichtete Städteportraits " von Bogotá, Lima, La Paz, La Habana. Mexiko City-, die auf einer Fahrt durch Lateinamerika entstanden sind und den Kern des Zyklus bilden. Diese Reise war für José Oliver, dessen Eltern aus Andalusien stammen, auch eine Reise zurück in die Muttersprache. "Un baúl de los recuerdos" wird in das deutsche Gedicht geholt. "Duende" " ein für den Musiker Oliver zentraler Begriff und Titel eines früheren Gedichtbandes " findet er wieder im "dicoré, dicoré" der Ayoreo, und "la mar" wird zur "meerin". Er will, wie er an einer Stelle sagt "entzingeln das schweigen", der Ort "erspuren" und "hautspüren", er will den Laut bearbeiten " wie ein Steinmetz den Stein, so will er den Laut, den er aus der Ferne/in die Ferne vernimmt, zu Wortreihung, zu Sprache fügen.

            Es gibt Gedankenlyrik, es gibt Gedichte vom Körper, es gibt Gedichte-mit-den-Augen. Wenn ich Olivers Lyrik definieren müßte, dann würde ich sagen, er holt über die Klangherkunft der Worte und dann, an zweiter Stelle, über die Augen die Welt herein. Wer die gleichnamige CD gehört hat, weiß, daß Klang, Melodie, Rhythmus für Oliver den Ausgangspunkt des Schreibens bilden " dann setzt die Suchbewegung ein, schneidet Bilder, überrascht Gedanken, schafft eine so noch nie erfahrene Wortlautdichte. Das Gedicht "Monterrey, (königs berg?)" gibt im Grunde genaueste Auskunft über sein Entstehen, wenn es vom "lautvermächtnis" spricht:

von stille zu stille
ausbewegt, so
bewortet augzeit sich
vorüberheit dem ohr, eigenstimmig

            An anderer Stelle definiert José Oliver das Gedicht als "schnappschuß wort/bild klang", der "unversöhnter handel" ist. Damit meint er wohl, daß Gedichte nie abgeschlossene Gebilde sind, mit sich selbst uneins und unfertig bleiben wie der Handel zwischen Welt und Sprache, Erfahren und Benennen. So zitiert er auch gern Octavio Paz mit dessen poetologischem Satz: "Jedes Gedicht ist der Entwurf eines anderen, das wir niemals schreiben werden."

            José Oliver hat in seine Gedichte auch Glaubenssätze gestreut, darunter das den Zyklus abschließende, tröstliche Diktum:

als letzter spricht der dichter
und nicht der totengräber

            Der Dichter ist der fernlautmetz. Er bearbeitet den Ton. Er hebt "die vergessenen namen" auf und findet für uns die unerwarteten Wörter von tiefem Ernst und flügelhafter Leichtigkeit.

 

Joachim Sartorius, in: "Sprache im technischen Zeitalter"