Der Tragödie erster Teil.

Hamburger Aufführung

Münchner Aufführung

Ton Münchner Auff.

Ton Gründgens Inszenierung

Tonaufnahme

NACHT

Übersetzungen

Greenberg

Taylor

Bilder

A

B

In einem hochgewölbten, engen gotischen Zimmer

Handschrift

FAUST unruhig auf seinem Sessel am Pulte.

FAUST.

Habe nun, ach! Philosophie,

Juristerei und Medizin,

355

Und leider auch Theologie!

Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.

Da steh' ich nun, ich armer Tor!

Und bin so klug, als wie zuvor;

Heiße Magister, heiße Doktor gar

360

Und ziehe schon an die zehen Jahr'

Herauf, herab und quer und krumm

Meine Schüler an der Nase herum -

Und sehe, daß wir nichts wissen können!

Das will mir schier das Herz verbrennen.

365

Zwar bin ich gescheiter als alle die Laffen,

Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;

Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel

Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel -

Dafür ist mir auch alle Freud' entrissen,

370

Bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen,

Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,

Die Menschen zu bessern und zu bekehren.

Auch hab ich weder Gut noch Geld,

Noch Ehr' und Herrlichkeit der Welt;

375

Es möchte kein Hund so länger leben!

Drum hab' ich mich der Magie ergeben,

Ob mir durch Geistes Kraft und Mund

Nicht manch Geheimnis würde kund,

Daß ich nicht mehr, mit saurem Schweiß

380

Zu sagen brauche, was ich nicht weiß;

Daß ich erkenne, was die Welt

Im Innersten zusammenhält,

Schau' alle Wirkenskraft und Samen,

Und tu' nicht mehr in Worten kramen.

385

O sähst du, voller Mondenschein,

Zum letztenmal auf meine Pein,

Den ich so manche Mitternacht

An diesem Pult herangewacht:

Dann über Büchern und Papier,

390

Trübsel'ger Freund, erschienst du mir!

Ach, könnt ich doch auf Bergeshöhn

In deinem lieben Lichte gehn,

Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,

Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,

395

Von allem Wissensqualm entladen,

In deinem Tau gesund mich baden!

 

aus: Goethe: Faust, Hamburger Ausgabe, 1978